Widerruf gegen laufende und beendete Verträge
Der BGH hat in mehreren Urteilen die Grundsätze für Rückabwicklungen von Lebens- und Rentenversicherungen konkretisiert. Von Bedeutung sind insbesondere die Urteile vom 29.07.2015 (BGH IV ZR 384/14), 11.11.2015 (BGH IV ZR 513/14) und 01.06.2016 (BGH IV ZR 343/14).
Im Fall, der dem ersten der drei genannten Urteile zugrunde lag, widersprach ein Kunde seiner Lebensversicherung lange Zeit nach dem Abschluss. Strittig war, welche Zahlung der Versicherer daraufhin an den Kunden zu leisten hat. Der Versicherer zahlte nur den Rückkaufswert aus, der sich aus der Wertentwicklung der eingezahlten Beiträge abzüglich Abschluss- und Verwaltungskosten ergab. Der Kunde hingegen wollte diese Kosten nicht tragen und verlangte zudem eine Verzinsung der eingezahlten Beiträge mit 7% p.a. bzw. 5% p.a. über dem Basissatz.
Der BGH stellte klar, dass Abschluss- und Verwaltungskosten im Fall eines Widerspruchs nicht vom Kunden zu tragen sind. Für den genossenen Versicherungsschutz – je nach Vertrag z.B. Todesfall- oder Berufsunfähigkeitsschutz – stehen dem Versicherer jedoch Risikoprämien zu. Gleichzeitig hat der Kunde Anspruch auf Zinsen auf die eingezahlten Restbeiträge. Diese Zinsen können jedoch nicht, wie vom Kunden gefordert, pauschal angesetzt werden. Vielmehr müssen sie in Bezug zur Ertragslage des Versicherers stehen. Auch dürfen keine Durchschnittswerte der Versicherungsbranche angenommen werden, wenn dem Kunden ein gesellschaftspezifischer Vortrag beispielsweise anhand öffentlicher Geschäftsberichte des Versicherers möglich ist. Ebenso stellte der BGH in den Urteilen vom 11.11.2015 (BGH IV ZR 513/14) und 01.06.2016 (BGH IV ZR 343/14) klar, dass der Versicherer nur Nutzungen herauszugeben habe, die er tatsächlich zog, wobei die Beweislast für alle Ansprüche gegen den Versicherer beim Kunden liegt.
Im Fall des Widerspruchs einer Lebensversicherung bedeutet dies, dass die vom Versicherer zu fordernde Rückzahlung Ergebnis einer komplizierten Berechnung ist. Die eingezahlten Beiträge sind um adäquate Risikoprämien zu reduzieren und angemessen zu verzinsen. Sofern die vom Versicherer kalkulierte Rückzahlung nicht akzeptiert wird, ist der Kunde darlegungs- und beweispflichtig.
Die geschilderten Grundsätze gelten auch bei Rücktritt oder Widerruf. Ein Rücktritt kommt bei Versicherungsverträgen in Betracht, die nicht nach dem Policen-, sondern dem sogenannten Antragsmodell abgeschlossen wurden. Dass sich die Rückgewährung bei Rücktritt ebenso wie bei Widerspruch berechnet, erklärte der BGH im Urteil vom 25.01.2017 (BGH IV ZR 173/15). Die Übertragung auf den Widerruf nach den Regeln des BGB folgt zum einen daher, dass der Widerspruch dessen versicherungsrechtliches Pendant ist. Zum anderen hat der Widerruf weitgehend die gleichen Rechtsfolgen wie ein Rücktritt, insbesondere wandelt er ebenfalls das Rechtsgeschäft mit sofortiger Wirkung in ein Rückgewährschuldverhältnis.
Wer auf Augenhöhe mit Versicherungen verhandeln will, sollte sich über den eigenen Versicherungsabschluss kundig machen und diesem bewerten lassen. Fundierte Berechnungen, so die Praxis, sorgen regelmäßig für eine größere Verhandlungsbereitschaft bei Versicherungen.
Zusätzlich empfehlen wir, nicht nur anhand der Aussichten auf einen hohen Bereicherungsanspruch über Widerruf oder Rücktritt aus einem Versicherungsvertrag zu befinden –zuvor sollte auch die Wirtschaftlichkeit geprüft werden: Lohnt es sich alte Lebensversicherungsverträge überhaupt zu widerrufen?
Zahlreiche alte Lebensversicherungsverträge können noch viele Jahre nach Abschluss widerrufen oder rückabgewickelt werden. Auch ein zwischenzeitliches Vertragsende oder gar eine Kündigung des Vertrags stehen dem meist nicht entgegen. Aber lohnen Widerruf oder Rücktritt überhaupt?
Auf den ersten Blick lautet die Antwort sicher ja, denn bei Widerruf oder Rücktritt werden dem Versicherungsnehmer auch Abschluss- und Verwaltungskosten erstattet, auf die er bei regulärem Vertragsablauf oder Kündigung kein Anrecht hätte. Gleichwohl gibt es mehr zu beachten. Zuvorderst sind da natürlich die Kosten, die der Versicherungsnehmer aufwenden muss, um die Bereicherungsforderung durchzusetzen. Daneben gibt es aber noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die den finanziellen Nutzen schmälern, und zwar Besteuerung, Rendite oder der Nutzen des Versicherungsschutzes. Auch Sozialversicherungsträger könnten bei Widerruf oder Rücktritt Forderungen erheben.
Die Besteuerung kann zu hohen Belastungen führen, da nicht nur die Entschädigung zu versteuern ist, sondern womöglich rückwirkend Steuervorteile aus dem Versicherungsvertrag entfallen. Steuerbegünstigte Ausschüttungen der Vergangenheit wären somit unter Umständen nachzuversteuern. Ebenso können Steuervorteile verloren gehen, die der Versicherungsvertrag noch für zukünftige Erträge bietet. Die Rendite ist insbesondere zu beachten, wenn der Versicherungsvertrag noch eine erhebliche Restlaufzeit und eine hohe Garantieverzinsung aufweist. Dann könnten bei Widerruf oder Rückabwicklung freiwerdende Gelder nur zu schlechteren Konditionen angelegt werden, als sie der Versicherungsvertrag bietet. Der Versicherungsschutz kann Widerruf oder Rücktritt unwirtschaftlich werden lassen, wenn ein benötigter Versicherungsschutz nur zu deutlich schlechteren Konditionen ersetzt werden kann. Oftmals ist dies bei Berufsunfähigkeitsversicherungen der Fall.
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